Hygienepapier

Toilettenpapier, Binden und Taschentücher sind eine scheinbar harmlose Alltäglichkeit. Erst bei genauerem Hinsehen werden die Schattenseiten der Herstellung von Hygienepapier-Produkten deutlich.

Eine Visual Story über grüne Wüsten, Landraub, Dioxine in Tampons… und was wir alle für mehr Nachhaltigkeit tun können.

Die ­Herkunft des
Zell­stoffs

Zellstoff ist die Hauptzutat für die Herstellung von Hygienepapier. Durch die steigende Nachfrage in Industrieländern wie Deutschland breiten sich in einigen Herkunftsländern industriell bewirtschaftete Monokulturen aus. Durch die Plantagen geraten natürliche Wälder immer stärker und Druck, mit gravierenden Folgen für die vor Ort lebenden Menschen.

Verbrauch von Hygiene­papier in Deutschland

Inlandsabsatz deutscher Papierfabriken
(in Millionen Tonnen)

Quellen: VDP Leistungsbericht 2017, Kritischer Papierbericht 2013

Eine Möglichkeit, um die negativen Folgen der Zellstoffproduktion zu adressieren, sind die Zertifizierungs-Initiativen von FSC und PEFC. Diese haben den Anspruch, sowohl die Waldwirtschaft als auch die Handelskette zu zertifizieren und so für eine umweltverträgliche und sozial gerechte Gewinnung von Zellstoff zu sorgen.

Was ist der FSC?

FSC steht für „Forest Stewardship Council” und ist ein inter­natio­nales Zerti­fi­zierungs­system für Wald­wirt­schaft. Der FSC-Standard schreibt vor, dass die öko­logischen Funk­tionen eines Waldes erhalten bleiben müssen. Er schützt vom Aus­sterben bedrohte Tier- und Pflanzen­arten und sichert die Rechte der Urein­wohner und der Arbeit­nehmer.

Die Vorstellung, ein FSC-zerti­fi­zierter Wald sei völlig unberührte Natur, ist jedoch falsch. Es ist bewirt­schafteter Wald, dies aber unter Auflagen, die den Wald als Öko­system lang­fris­tig erhalten sollen. Der FSC wird teilweise durch Umwelt-NGOs unter­stützt. Zugleich steht er wegen Fällen von Miss­management immer wieder in der Kritik.

Was ist der PEFC?

PEFC steht für “Programme for the Endorsement of Forest Certi­fication Schemes”. Der PEFC fördert nach­haltig bewirt­schaftete Wälder nach öko­logi­schen, sozialen und wirt­schaft­lichen Aspekten mit einer un­ab­hängigen Zer­ti­fi­zierung durch Dritte. Die Ini­tiative unterstützt ein Netzwerk natio­naler und regio­naler Wald­­zer­ti­fi­zierungen, die nach inter­national aner­kannten Anfor­derungen für nach­haltige Wald­wirt­schaft ent­wickelt wurden.

Im Gegen­satz zum FSC gibt es jedoch keine indi­vi­duelle Kontrolle vor der Ver­gabe eines Zer­ti­fikats, auch später gibt es ledig­lich Stich­proben­kon­trollen. Der PEFC wird deut­lich von Wald­besitzern und der Holz­industrie dominiert, Umwelt­verbände akzeptieren das Siegel nicht als glaubwürdigen Nachweis für Nachhaltigkeit.

Die Umsetzung von Wald-Zertifizierungen ist schwierig und in der Praxis gehen immer wieder auch Dinge schief. Auf der anderen Seite haben wir durch Zertifizierung aber schon viel Positives erreicht, gerade in Bezug auf soziale Aspekte.

Johannes Zahnen
Waldexperte, WWF

Unsere Frischfaserprodukte sind aus Zellstoffen hergestellt, die mit bekannten Siegeln wie FSC und PEFC zertifiziert sind. Daneben haben wir eigene Lieferantenstandards und überzeugen uns auch vor Ort davon, dass die eingehalten werden.

Silvia Kerwin
Leiterin Nachhaltigkeits­management, WEPA

Die Vielzahl von Siegeln auf Papierprodukten verwirrt die Verbraucher*innen. So trägt die Zertifizierung von Produkten aus Primärfasern dazu bei, dass noch umweltfreundlicheres Recyclingpapier aus dem Markt verdrängt wird.

Angelika Krumm
Papierexpertin, Robin Wood

"Chlorfrei gebleicht"

Das frische Weiß der meisten Hygienepapiere ist das Ergebnis der Behandlung mit chlorhaltigen Bleichmitteln. Der Einsatz der Chemikalien hat seinen Preis: Über die Abwässer aus den Fabriken landen die giftigen Stoffe in der Umwelt. Immer wieder werden Spuren von Dioxinen in Hygieneprodukten wie Tampons oder Babywindeln nachgewiesen. Dabei gibt es längst Alternativen.

Bis in die 1990er Jahre wurde in den Zellstoff-­Fabriken hauptsächlich mit Chlorgas gebleicht. Dieser Stoff ist allerdings hochgiftig und wurde zum Beispiel im ersten Weltkrieg auch als chemische Waffe eingesetzt. Nachdem Ende der 1980er Jahre Dioxine im Abwasser von Zellstoff-­Fabriken gefunden wurden und Umwelt­organisationen die Gifte selbst in Hygiene­produkten nachweisen konnten, wurde die Kritik an der Nutzung von Chlor lauter.

Inzwischen hat die Papier­industrie die Bleichverfahren weiterentwickelt. Etwa 90 % des Zellstoffes wird heute ohne elementares Chlorgas behandelt, stattdessen nutzt die Industrie das weniger giftige Chlordioxid. Das technische Verfahren nennt sich ECF. Die Gefahren sind damit aber leider nicht gebannt.

Was ist ECF?

ECF steht für “Elemental Chlorine Free” und bezeichnet das Bleichen von Zellstoff ohne den Einsatz von elementarem Chlor. Stattdessen werden in diesem Verfahren andere chlorhaltige Ver­bin­dungen eingesetzt, die weniger giftig sind als Chlorgas. Das weltweit am häufigsten verwendete Bleich­mittel ist Chlordioxid.

Anders als die Bezeich­nung ECF vermuten lässt, ist auch in Chlordioxid 2 bis 25 % Chlorgas enthalten. Gerade in älteren Zellstoff-Fabriken, die nicht auf dem neuesten Stand der Technik sind, entstehen daher im Bleich­verfahren Dioxine und andere giftige Halo­gen­ver­bin­dungen (AOX).
Diese gelangen über das Abwasser in die Umwelt und können teilweise auch in Hygiene­produkten nach­gewiesen werden. Das Verfahren wurde Ende der 1980er Jahre von der Industrie entwickelt. Heute werden etwa 90 % des Zellstoffes auf dem Weltmarkt im ECF-Verfahren gebleicht.

Was ist TCF?

TCF steht für “Totally Chlorine Free” und bedeutet, dass der Zell­stoff für ein Produkt absolut chlorfrei gebleicht wurde. Als Alter­native zu giftigen Chlor­ver­bindungen werden un­bedenk­liche Stoffe wie Sauer­stoff, Ozon oder Wasser­stoff­per­oxid als Bleich­mittel eingesetzt.

Das Verfahren wurde um 1990 herum entwickelt. 1991 ver­öffent­lichte Greenpeace ein Plagiat des Nachrichten-­Magazins Der Spiegel und führte damit die industrielle Mach­barkeit der TCF-Bleiche für Tief­druck­papier vor. In den Folgejahren gewann chlor­frei gebleich­ter Zell­stoff besonders bei deutschen und schwedischen Her­stellern an Bedeutung.

Der Großteil der globalen Zellstoff-Industrie setzt aber nach wie vor auf Chlor­ver­bin­dungen. Chlorfrei gebleichter Zell­stoff hat heute lediglich einen Markt­anteil von etwa 6 %. Befür­worter verweisen auf den deutlich geringeren Wasser- und Energie­ver­brauch und betonen die Wirtschaft­lich­keit des TCF-Verfahrens.

Durch den Verzicht auf Chlorgas entstehen deutlich weniger gesundheits­gefährdende Stoffe. Unbedenklich sind aber auch die aktuellen Verfahren nicht. Bei der Nutzung von Chlor­dioxid entstehen nach wie vor Dioxine und andere giftige Stoffe, die über Abwässer in die Umwelt gelangen und sich in der Nahrungskette anreichern. Deutsche und französische Verbraucher­magazine haben aktuell erneut Spuren von Dioxinen in sensiblen Produkten wie Windeln und Tampons nachgewiesen.

https://www.zdf.de/verbraucher/wiso/schadstoffe-in-windeln-100.html

Dabei gibt es längst umweltfreundliche Alternativen, die ganz ohne Chlor­­verbindungen auskommen.

Das sogenannte TCF-Verfahren ist absolut chlorfrei und verwendet nur unbedenkliche Sauerstoff-Verbindungen. Trotz seiner Vorteile für Umwelt und Gesundheit hat die chlorfreie Bleiche heute nur einen weltweiten Marktanteil von etwa 6%.

Einige Unternehmen aus dem Einzelhandel haben angekündigt, Lösungen für das Problem zu suchen. In ihren Leitlinien zur Einkaufspolitik sprechen sie sich für die chlorfreie Papierbleiche aus und empfehlen dies auch ihren Geschäftspartnern. Ob das den Anteil chlorfrei gebleichter Produkte tatsächlich steigern wird, bleibt abzuwarten. Im besten Fall wächst der Druck auf die gesamte Papier- und Zellstoffindustrie, auf umweltschonende chlorfreie Verfahren umzusteigen.

Recycling und Papier­sparen

Produkte aus Recyclingpapier sind eine einfache Möglichkeit, um die sozialen und ökologischen Folgen unseres Konsums zu mindern. Um jedoch ein nachhaltiges Niveau beim Papierkonsum zu erreichen, muss deutlich weniger dieses wertvollen Rohstoffes verbraucht werden. Auch bei überflüssigen Wegwerfprodukten gilt: Weniger ist mehr.

Für Hygienepapier-Produkte aus Altpapier wird kein frischer Zellstoff benötigt. Dadurch verringern sich soziale und ökologische Probleme, die mit der Zellstoffgewinnung verbunden sind. Außerdem werden bei der Herstellung von Recyclingpapier bis zu 60 % weniger Energie und bis zu 70 % weniger Wasser verbraucht.

Trotz deutlicher Vorteile in Sachen Nachhaltigkeit ist der Recyclinganteil bei Hygienepapier in den letzten Jahren deutlich gesunken, auf inzwischen unter 50 %. Wie kann das sein? Papierhersteller verweisen auf die Rolle der VerbraucherInnen. Diese wünschten sich immer stärker Produkte mit vielen Lagen, die besonders weich seien. Anders als früher sind viele Recyclingprodukte heute aber kaum noch unterscheidbar von Hygieneprodukten aus frischem Zellstoff.

Wie also ließe sich der Recyclinganteil wieder erhöhen? In Zusammenarbeit mit einigen Umweltverbänden entwickeln Hersteller von Hygienepapier nun Mischprodukte mit Recyclinganteil für die mittleren und oberen Preissegmente. Entscheidend für die schwache Nachfrage nach Produkten aus 100 % Recyclingpapier könnte am Ende jedoch schlicht das fehlende Angebot sein.

Aus Umweltsicht ist Recycling zugleich immer nur der zweite Schritt: Um Wälder und Ressourcen zu schonen, sollten Papierprodukte nur dort gekauft und verwendet werden, wo sie tatsächlich nötig sind. Das Umweltbundesamt hält eine Halbierung des aktuellen Papierverbrauches in Deutschland für notwendig, um eine nachhaltige Versorgung zu ermöglichen. Das sehen die Hersteller von Hygienepapier naturgemäß anders.

Recycling­anteil bei
Hygiene­papier in Deutsch­land
2000 74%
2016 46%

Quelle: VDP Leistungsbericht 2017

Audiobeiträge
Johannes Zahnen (WWF)
Sergio Baffoni (Environmental Paper Network)
Herausforderung
Recycling

Recycling ist nicht immer ganz einfach: Hygienepapier gilt als technologisch anspruchsvolles Produkt. Bei der Aufbereitung von Altpapier zur Herstellung von Hygieneprodukten müssen zunächst kurze Fasern, Druckerfarbe, Klebstoffe etc. ausgewaschen und entsorgt werden. Auf die Schwierigkeiten weisen auch die Papierhersteller hin.

Cellulose-Fasern, die aus Holz gewonnen werden, können bis zu sechs mal recycelt werden. Auch zur Nutzung von Altpapier muss also immer wieder frischer Zellstoff in den Recycling-Kreislauf eingebracht werden, da sich die Fasern mit jeder weiteren Verarbeitung verkürzen.

Eine weitere Schwierigkeit ist die Verfügbarkeit des benötigten Altpapiers: Durch den boomenden Online-Handel steigt die Nachfrage nach Verpackungen und Kartons aus Altpapier deutlich, gerade Altpapier mit höherwertigen Fasern wird so zum knappen Gut.

Die Herstellung von Hygienepapier kann für Mensch und Umwelt problematisch sein. Die gute Nachricht ist aber, dass es für viele Bedürfnisse simple Alternativen zu Papierprodukten gibt – z. B. Putzlappen und Küchentücher aus Baumwolle. Mit jedem Blatt Papier, das wir einsparen, schaffen wir die Voraussetzung für eine gerechtere Verteilung von Ressourcen in der Welt.

Recycling vs. Frischfaser
Sehen Sie den Unterschied?

Organisatorische Leitung: Wolfgang Kuhlmann

Film und Gestaltung: Linda Choritz

Text und Redaktion: Jonas Daldrup und Michael Gerhardt

Projektkoordination: Jonas Daldrup und Peter Gerhardt

 

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